AUSTRIA: Grabungsgenehmigungspflicht in Österreich durch Gerichte weitgehend gekippt

Aus dem DGUF-Newsletter vom 13. Oktober 2017:

Der seit Jahrzehnten vertretenen Rechtsauffassung des österreichischen Bundesdenkmalamtes (BDA) zufolge galt gemäß § 11 Abs. 1 des Denkmalschutzgesetzes (DMSG) in Österreich eine Genehmigungspflicht für Grabungen und sonstige archäologische Nachforschungen (NFG-Pflicht) – unabhängig davon, ob auf einer konkret betroffenen Fläche das Vorkommen archäologischer Denkmale bereits bekannt ist (BDA 2016, 6). Spätestens seit 2012 hat das BDA auch die Aufsammlung von Oberflächenfunden und vergleichbare Handlungen dieser NFG-Pflicht unterzogen (BDA 2012, 8; 2016, 11-12). Ein aktuelles Gerichtsurteil kippt diese Rechtsauffassung nun  weitgehend, wenn nicht sogar vollständig. In einem von Prof. Raimund Karl vor das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) gebrachten Fall hat dieses in seinem Spruch vom 11.9. zu Zahl W 183 2168814-1/2E jetzt als Recht erkannt, dass die NFG-Pflicht des § 11 Abs. 1 DMSG für rein auf die Entdeckung von Oberflächenfunden ausgerichtete Nachforschungen nicht angewendet werden kann. In einem anderen, davon unabhängigen Fall – ausgelöst durch eine Anzeige des BDA wegen unbewilligter Grabungstätigkeit durch einen Laien – hatte der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) bereits zuvor in seinem Spruch vom 23.2. zu Zahl Ro 2016/09/0008 eine noch deutlich weiter reichende Entscheidung getroffen. Hier hatte der VwGH als Recht erkannt, dass die NFG-Pflicht erst durch Bestehen einer durch konkrete Hinweise begründeten Erwartung bzw. durch die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens bzw. der Auffindung denkmalschutzrelevanter Gegenstände am Ort der (geplanten) Nachforschung ausgelöst wird. Als hinreichende Hinweise nennt der VwGH “z. B. wissenschaftliche Befunde und Gutachten geeigneter Sachverständiger oder andere allgemein zugängliche Quellen bzw. auch ein laufendes Unterschutzstellungsverfahren” (VwGH 23.2.2017, Ro 2016/09/0008, 4).

Selbst unter der (eher unwahrscheinlichen) Voraussetzung der Richtigkeit der weitesten möglichen Auslegung dieses Rechtssatzes – nämlich dass auch schon die vom BDA jährlich in den Fundberichten aus Österreich (FÖ) veröffentlichten Fundmeldungen “andere allgemein zugängliche Quellen” und somit “konkrete Hinweise” im Sinne dieser Erkenntnis sind – bedeutet das, dass die Pflicht zur Einholung einer NFG auf Nachforschungen auf jenen geschätzt über 99 % der österreichischen Bodenflächen nicht anwendbar ist, zu denen das BDA noch keine Fundmeldungen veröffentlicht hat. Dies entspräche in etwa der derzeitigen Rechtslage in Bayern, nur, dass auf Bodenflächen, von denen noch keine Bodenfunde bekannt sind, nicht nur nicht-invasive Nachforschungen, sondern auch Grabungen bewilligungsfrei durchgeführt werden dürften. Unter Voraussetzung der (weit wahrscheinlicheren) Richtigkeit einer strikteren Auslegung – dass, um als “konkrete Hinweise” im Sinne des Rechts betrachtet werden zu können, die allgemein zugänglichen “Quellen” wenigstens die einem Sachverständigengutachten entsprechende Qualität aufweisen müssen – wäre die NFG-Pflicht wenigstens derzeit sogar noch stärker beschränkt. Quellen gutachterlichen Niveaus liegen nämlich derzeit de facto nur für die gemäß §§ 2, 2a oder 3 DMSG denkmalgeschützten oder in einem
laufenden Unterschutzstellungsverfahren befindlichen archäologischen Denkmale und den (auch) aus archäologischen Gründen als Welterbestätten ausgewiesenen Fundstellen vor. Die österreichische Rechtslage würde somit derzeit wenigstens de facto, wenn auch nicht unbedingt de jure, der in England und Wales entsprechen. Die Erkenntnisse haben bedeutende Implikationen sowohl für die vergangene als auch die zukünftige Handhabung des § 11 Abs. 1 DMSG durch das BDA. Selbst im für das BDA besten Fall ist davon auszugehen, dass wenigstens ein gewisser Anteil der vom BDA in der Vergangenheit erteilten NFG rechtswidrig erteilt wurde, weil eine solche gesetzlich gar nicht erforderlich war. Im schlechtesten Fall hingegen sind sogar praktisch alle in der Vergangenheit erteilten NFG-Bescheide (inklusive der darin erteilten Auflagen) mit dem Mangel der Rechtswidrigkeit behaftet. Ebenso wurden vermutlich wenigstens in Einzelfällen, wenn nicht sogar in nahezu allen vorgekommenen Fällen, Metallsucherinnen und Metallsucher vom BDA in rechtswidriger Weise für Verletzungen der NFG-Pflicht an Orten angezeigt, wo eine solche gar nicht vorkommen konnte.

Für die Zukunft der Archäologie in Österreich bedeutet das, dass vermutlich wenigstens ein gewisser Teil, wenn nicht sogar nahezu alle professionellen Ausgrabungen und sonstigen Nachforschungen nicht NFG-pflichtig sind. Ebenso bedeutet es, dass auch das Sondengehen nahezu überall in Österreich bewilligungsfrei erlaubt ist, wenigstens auf allen Bodenflächen, die noch nicht durch in den FÖ veröffentlichte Fundmeldungen als “Fundhoffnungsgebiete” ausgewiesen sind, aber eventuell sogar praktisch auf allen, die nicht aus archäologischen Gründen explizit unter Denkmalschutz stehen oder als Welterbestätten ausgewiesen wurden. Funde von Bodendenkmalen auf allen anderen – d. h. jedenfalls wohl über 99 %, eventuell sogar über 99.98 % aller – Bodenflächen in Österreich sind hingegen, selbst wenn sie unter Einsatz eines Metallsuchgerätes oder bei professionellen archäologischen Ausgrabungen entdeckt wurden, als Zufallsfunde gemäß § 8 Abs. 1 DMSG zu betrachten und daher nur durch die Fundmeldepflichten des § 8 und den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen gem. § 9 DMSG geschützt. Weitreichende Veränderungen in den archäologischen Denkmalpflegepraktiken in Österreich sind zu erwarten. Ob diese zum Vor- oder Nachteil der Archäologie sein werden, ist noch nicht absehbar.

Klar und bedenklich ist aber jedenfalls, dass das BDA – das ohnehin schon durch den Bericht des Rechnungshofes aus dem Frühjahr 2017 schwer angeschlagen ist (RH 2017; siehe auch DGUF-Newsletter vom 2.11.2016 Punkt 9.1.; 1.6.2017 Punkt 9.7.) – nun auch noch (und das gleich zwei Mal) darin auffiel, das Gesetz, das es umzusetzen hat, gravierend falsch ausgelegt und dadurch seine Kompetenzen deutlich, wenn nicht sogar massiv überschritten zu haben.

Weiterführende Links:

Denkmalschutzgesetz § 11 “Bewilligungen und Verpflichtungen bei Grabungen nach Bodendenkmalen”
BDA 2012. Richtlinien für archäologische Maßnahmen. 2. Fassung – 1. Jänner 2012. Wien: Bundesdenkmalamt. [nicht mehr online, nur als gedrucktes Heft in Bibliotheken] BDA 2016. Richtlinien für archäologische Maßnahmen. 4. Fassung – 1. Jänner 2016. Wien: Bundesdenkmalamt [25.9.2017]

BVwG vom 11.9.2017, Zl. W 183 2168814-1/2E
Rrechnungshof 2017 (28.4.):
VwGH vom 23.2.2017 zu Zahl Ro 2016/09/0008

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